Nur mal meine ganz persönliche Meinung. Ich will niemandem etwas aufzwingen oder irgendwelche allgemeingültigen Richtlinien oder Lösungen aufstellen - nur vielleicht mal einen kleinen Denkanstoß geben.
Wir haben ein grundsätzliches Problem mit der sogenannten Liebe in unserer Gesellschaft - und dieses Problem findet ihren Ursprung, so wie die meisten anderen Probleme auch, in einem Missverständnis, das auf mangelnder Reflexion gründet.
Vorweg: Ich führe ein lächerlich kitschiges Leben wie der junge Werther - Der gesamte Sinn, den ich meiner Existenz und meinem Fortstreben zuschreibe ist die Liebe. Alles in mir ist romantisch verklärt - ich bin also kein verbitterter Nihilist, der die Arme verschränkt um allen den Spaß zu verderben, ich bin eher im Gegenteil überemotional-theatralisch-romantisch.
Ja, tatsächlich: Amare et sapere vix deo conceditur - Lieben und gleichzeitig vernünftig sein, das vermag nicht einmal ein Gott. Aber selbst so ein hoffnungsloser Fall wie ich, der auch nicht immer alles vernünftig macht, sollte doch zumindest fähig sein die Augen zu öffnen, zu reflektieren und es beim nächsten Mal besser zu machen - Gefährliche Gefühle,die mich blind machen wollen, in der Vernunft ersticken.
Wir haben zweierlei Grundprobleme:
1.) Leute "verlieben sich auf den ersten Blick"
Sprich: Wir finden jemanden aufgrund seiner Erscheinung - ganz gleich ob damit sein reines Aussehen gemeint ist, seine Ausstrahlung, sein Charisma, etc. - so attraktiv, dass ein Gefühl der "Verliebtheit" einsetzt.
Daran hängen sich nun die Meisten auf, verlieben sich nicht in einen Menschen, sondern in eine Hülle, die sie verklären. Heißt im Klartext: Wir beginnen Menschen Eigenschaften zuzuschreiben, von denen wir uns überhaupt nicht sicher sein können, ob sie sie überhaupt besitzen. Wir projezieren eine Persönlichkeit in diese Hülle hinein, die wir sehen wollen und verlieben uns dann in einen Geist den wir selbst erschaffen haben und nicht tatsächlich erfahren haben. Glorifizierung.
Selbstverständlich habe ich das an mir selbst auch schon mehr als einmal erlebt und selbstverständlich tappe ich auch hin und wieder in diese Falle aber genau hier ist der Punkt an dem man ungemütlicherweise die Zähne zusammenbeißen muss und etwas aufbringen muss, was sich "Geduld" nennt: wir müssen diesen Menschen kennen lernen, um herauszufinden, ob wir uns tatsächlich in ihn verliebt haben oder ob wir uns in unsere Vorstellung verliebt haben.
Wir verrennen uns vielleicht sogar in einen Menschen, der eigentlich überhaupt gar kein Interesse hat - haben ihn aber auch schon längst glorifiziert und trauern dann den Rest unseres Lebens einem Menschen hinterher, den es so eigentlich nie wirklich, sondern nur in unserer Vorstellung gegeben hat.
Erstaunlicherweise wählen die Wenigsten einen Partner der vernünftig für sie wäre, sondern lediglich den besonders Spannenden, so unvernünftig dieser auch zu sein scheint. Am interessantesten ist ja bekanntlich das, was man nicht haben kann.
Nun haben es aber einige eilig - weshalb? Wenn mein Gegenüber nicht bereit ist diese Zeit aufzubringen, sollten wir es sowieso vergessen. Ja, natürlich ist das verlockend und im Hinblick auf das hübsche Gesicht was wir vor uns sehen solch eine Zeitverschwendung! Aber wenn ich mir nicht im Voraus die Zeit nehme mein Gegenüber zu demaskieren, werde ich das in meiner sogenannten Beziehung nachholen müssen und das gibt nach spätestens einem Jahr bekannterweise immer ganz großen Knatsch, weil man dann endlich gemerkt hat, dass der Partner ja "gar nicht so ist wie man ihn kennengelernt hat". Sprich: gar nicht so ist, wie man ihn eigentlich gern gehabt hätte, weil man blind an eine lächerliche Vorstellung festhielt.
2.) Wir haben Angst davor nicht verliebt zu sein.
Ja, so ein Zustand in dem man völlig allein ist, nicht einmal für jemanden schwärmen kann, der ist kompliziert, weil wir die Zeit die uns dadurch gegeben wird ja auch viel zu gut dafür nutzen könnten, uns mal selbst zu erfassen - wer wir sind, wer wir sein wollen und vor allem was wir eigentlich wollen und suchen.
So passiert es häufig dass man Menschen kennen lernt, die anziehend aber nicht umwerfend sind, die hübsch anzusehen sind aber keine Ausstrahlung haben, die einen mit ihrem Aussehen ganz rasend machen, innerlich aber uninteressanter nicht sein könnten, die man eigentlich nicht will, die einen aber so liebevoll umwerben dass man sich von seinem schlechten Gewissen gezwungen fühlt, die eigentlich in gar keiner Hinsicht anziehend wirken, die aber gerade da sind, etc. etc. etc.
Weil man aber so gerne verliebt wäre, beginnt man sich das, was da ist schön zu reden. Ob das jetzt das Aussehen betrifft oder irgendeinen beliebigen anderen Faktor, das spielt hierbei keine Rolle. Oft belügt man sich auch selbst ganz feige mit den Worten "Vielleicht braucht das nur Zeit."
Sind wir mal ehrlich: wenn wir uns tatsächlich und unweigerlich verlieben, dann gibt es keine Ausreden oder Beschönigungen mehr, dann ist alles schön und alle Komplikationen sind Nichtigkeiten. Man denkt nicht mehr "iehbah!" sondern "oh nein, wie rebellisch!" wenn der Liebste Drogen nimmt. Dann verschiebt man keine Treffen bis ins Unendliche, dann denkt man nicht darüber nach ob das mit der weiten Entfernung so klappen könnte, ob man sich an Problemchen XY nicht irgendwann gewöhnen könnte, ob Person XY dann noch mit einem redet, und so weiter.
Das muss ja nicht zwangsweise auf den ersten Blick passieren aber wenn dieses Grundgefühl nicht irgendwann gegeben ist, dann sollte man es besser ganz bleiben lassen. Und wenn das Grundgefühl eintritt, sollte man sich vielleicht meine Vorrede aus Punkt 1 noch mal zu Herzen nehmen.
Ein Mittelweg erscheint mir ganz sinnvoll. Ja, ich weiß - das ist ungemütlich mal etwas nachzudenken. Ja, ich weiß, das nimmt auch den ganzen Zauber, der uns so beneidenswert in den ganzen süßen Disney Filmen vorgelebt wird, wenn man die Schmetterlinge im Bauch so trocken analysieren muss - aber ansonsten bekommt man anstatt dessen frauenfreundliche Hochglanz-Pornos mit romantischem Vorspiel. So viel sollten einem jedoch nicht nur die Gefühle des Gegenübers wert sein, sondern vor allem wir selbst sollten uns doch so viel Wert sein - uns erst zu erbarmen, wenn wir das gefunden haben, was wir wirklich wollen. Wenn wir uns in keinerlei Hinsicht mehr nach irgendwem anders umdrehen würden.
Aber da wären wir wieder am Anfang: Dafür müsste man sich ja erst einmal die Zeit nehmen intensiv darüber nachzudenken, was man denn überhaupt will. (Und ja, man muss sich im Laufe seines Lebens vielleicht auch ein paar Mal vertan haben und Fehler gemacht sowie erkannt haben, um herausfinden zu können was man will - das schließe ich gar nicht aus)
Ich beglückwünsche an dieser Stelle auch ganz herzlich diejenigen, die eine glückliche, lange Beziehung führen, obwohl sie völlig entgegengesetzt handelten - ich erdreiste mir zu behaupten, dass ihr die Ausnahme seid. (Manche vielleicht auch einfach nur nicht besonders wählerisch.)
Gerade deshalb ist "Liebe" so ein abgedroschener Begriff, mit dem jeder im Übermaß um sich wirft, wenn es nur ein bisschen im Bauch - wahlweise auch woanders - kribbelt.
Das mag nun meinetwegen auch konservativ und veraltet klingen. In dem Fall bin ich das dann sehr gerne. Es kann ja auch jeder machen, was er gerne möchte - es gibt sicher auch Leute die das so brauchen. Ich möchte aber behaupten, dass sehr sehr Viele sehr sehr viel weniger Schweiß, Blut und Tränen investieren müssten, wenn sie einfach mal ein wenig Muße tun würden.
"Je suis un homme - je suis maître de ma peau."